Am Mittwoch, dem 10 September, bot das Textilgeschäft N. in Liesborn einen Kleiderverkauf im Seniorenheim an. So hatten die Bewohner Gelegenheit noch fehlende Garderobe für den kommenden Herbst zu erwerben.

Schon in der Frühstücksrunde an diesem Morgen verabredete ich mich mit der Bewohnerin Fr. M. für 9.30 Uhr, um sie bei ihrem Einkauf zu begleiten. Nach ihrem Hinweis, „Sei aber pünktlich“, widmete sich Fr. M. wieder ihrem Brötchen und dem Tischgespräch mit den Mitbewohnern.

Nachdem das Frühstück beendet und die Tische abgeräumt waren, stand Frau M. vor dem großen Garderobenspiegel im Wohnbereich. Sie ordnete ihre Kleidung und zupfte ihre Frisur zurecht.
Mit der Aufforderung, „Wir können gehen“, nahm sie mich am Arm und steuerte zum Ausgang. 
Im obersten Stockwerk, im „ Treffpunkt“, fand der Verkauf statt. Als wir dort eintrafen, waren da schon die ersten Kunden die sich von Frau N. und ihren Mitarbeiterinnen beraten ließen. Frau M. sah mich fragend an und ging dann zielstrebig zu den Kleiderständern.

Eine freundliche Dame des Textilgeschäftes kam sofort auf uns zu. Nachdem Frau M. ihre Wünsche nach einem Pullover, Jacke und Bluse geäußert hatte, bekamen wir von der Verkäuferin verschiedene Modelle gezeigt. Bei jedem Teil das sie von der Stange nahm und uns hinhielt, spitzte Frau M. ihre Lippen, schaute mich vielsagend an oder wog ihren Kopf hin und her. Ab und zu flüsterte sie mir Bemerkungen ins Ohr wie, „viel zu ömmelig“, „das ist ja für eine Großmutter“ oder „das Muster ist mir aber zu groß“. Manchmal schaute sie mich erst an, um dann mit ratlosem Gesichtsausdruck zu sagen, „Was meinst du?“ Hin und wieder fiel es mir schon schwer ernst zu bleiben, da mir Frau M's Argumente doch treffend schienen.

Wie es der Zufall aber wollte, wurde die Dame von einer anderen Kundin zu Rate gezogen. Als Frau M. und ich bemerkten, dass die Beratung der anderen Kundin wohl länger dauern würde, trafen sich unsere Blicke. Frau M’s Augen leuchteten auf und meine glaube ich auch, als wir uns ohne ein Wort dem Kleiderständer zuwandten und in Eigenregie die einzelnen Modelle anschauten. Das war toll. So, als wäre ich mit meiner besten Freundin im Kaufhaus. Wir schoben die Bügel hin und her, zogen Pullover und Blusen heraus. Waren uns einig über zu dunkle Farben, zu große Muster und Großmuttersachen.

Wir lachten, hielten uns verschiedenste Modelle vor, standen vor dem Spiegel und wieder zwischen den Kleiderstangen. Da gab es einen fliederfarbenen Pullover und einen zartgelben, die Frau M. sich vorm Spiegel anhielt und die Farben zu Ihrem hellen Haar besonders passend fand. Die Teile die uns gefielen, hängten wir an eine für uns gut einsehbare Stelle, damit sie uns nicht von einer anderen Kundin weggeschnappt würden. Eine gestreifte Bluse und eine im Trachtenlook kamen dazu. Alle Teile wollte Frau M. nacheinander anziehen. Und dann, entdeckten wir, beide Frauen gleichzeitig, ein braunes Twinset. „In jugendlicher Form“, wie Frau M. bemerkte und „das toll zu ihrem hellen Haar passen müsse“. Wir waren beide begeistert von diesem Artikel.

Frau M. interessierte sich gar nicht mehr für die anderen Kleiderständer und die schon ausgesuchten Sachen. Sie zog sofort das Twinset über und betrachtete sich im Spiegel. Sie drehte und wendete sich. Knöpfte die Jacke auf und zu und zupfte an ihrer grauen Haarsträhne die vom Anprobieren ins Gesicht fiel. „Na was sagst du?", war ihre Frage. Ich war ebenso angetan von dem „jugendlichen Modell“ und bestätigte, wie gut die Farbe zu ihrem hellen Haar passte, die Qualität kuschelig weich war und jedes Teil des Twinsets auch einzeln von ihr getragen werden könne. Wir freuten uns beide und es fiel Frau M. schwer das Modell wieder auszuziehen um auch noch in die zurückgelegten Sachen zu schlüpfen. Es machte ihr dennoch Spaß, dass ein und andere Teil überzustreifen. Alle ausgesuchten Kleidungsstücke passten hervorragend und die Farben waren ideal.

Als Frau M. die gestreifte Bluse anhatte und feststellte, das dieser sportlich elegante Schnitt am besten zu ihr passe, kam die Verkäuferin von eben wieder zu uns. Mit der Bemerkung, dass Frau M. doch sehr gut etwas farbenfrohes tragen könne zu ihrem hellen Haar, hielt sie uns eine rote Bluse hin. Frau M. und ich sahen uns an. Es zuckte in unseren Mundwinkeln und wir mussten beide laut lachen. „Das ist doch meine Bluse“, war Frau M’s Bemerkung, „Aber die behalte ich und die anderen Sachen nehme ich auch“.