Bericht von Frau G.

Bei der Alzheimer-Erkrankung sterben Nervenzellen im Gehirn ab. Besonders betroffen sind die Hirnregionen, die das Gedächtnis steuern sowie die Bereiche, die die Sprache und Denkfähigkeit kontrollieren. Die Alzheimer-Krankheit führt zu einem fortschreitenden Gedächtnis- und Persönlichkeitsverlust. Sie verläuft tödlich und ist derzeit unheilbar.

Das bekannt werden der Diagnose „Alzheimer“ bei unserm Vater, Schwiegervater und Opa vor 10 Jahren traf uns wie ein großer Schock. Wir hatten zwar schon mal etwas von dieser Krankheit gehört, wussten aber eigentlich nichts über die Auswirkungen dieser Erkrankung. Aufgefallen, dass mit ihm etwas nicht stimmte, war bei einer Routineuntersuchung für den Personenbeförderungsschein durch das Gesundheitsamt. Er war zu diesem Zeitpunkt 56 Jahre alt. Es erfolgten weitere Diagnostik wie Computertomographie und diverse Teste.

Dies alles wurde uns erst 4 Jahre später bekannt. Bis zu diesem Zeitpunkt konnte er seine Krankheit vor seiner Familie sehr gut verbergen. Erst im Gespräch mit dem Neurologen erkannten wir, dass die ersten Anzeichen dieser Krankheit schon länger zurückliegen mussten. Er hatte in der Vergangenheit öfter über Schwindel und Kopfschmerzen geklagt und hatte auch schon mal geäußert „in seinem Kopf stimme etwas nicht, er sei immer so durcheinander“. Seine Stimmung war oft traurig, er weinte sehr häufig. Uns war auch aufgefallen, dass er sich von seiner Umgebung immer mehr zurückzog. Oft erfand er irgendwelche Ausreden, um an bestimmten Aktivitäten nicht teilnehmen zu müssen. Dies stieß natürlich bei uns sowie im Freundes- und Bekanntenkreis und bei den Nachbarn oft auf Unverständnis, zumal er vorher ein sehr geselliger Mensch war.

Wie sollte es nun weitergehen ? Wir bewohnen ein 2-Familienhaus, Schwiegervater bewohnte die untere Wohnung. Unsere Kinder waren damals 8 und 11 Jahre alt, der Opa war für sie ein ganz besonderer Mensch, sie hatten eine sehr innigen Beziehung zu ihm. Für unsere Familie stand sehr schnell fest, dass der Opa auf jeden Fall in seiner gewohnten Umgebung bleiben sollte. Die Vorstellung, ihn in ein Pflegeheim zu geben, war für uns damals unvorstellbar. Doch wie würde sich unser Familienleben von nun an verändern? Meine Berufstätigkeit (ich hatte eine Halbtagsstelle) wollte ich auf keinen Fall aufgeben. Würden die Kinder nicht zu sehr unter der ganzen Situation leiden? Würde ich noch genügend Zeit für sie übrig haben? Fragen über Fragen blieben offen. Trotz vieler Warnungen von Außen von Freunden, Bekannten und Ärzten, unser Familienleben nicht aufs Spiel zu setzen, wollten wir die Herausforderung annehmen.

Durch Zufall erfuhr ich aus der Tageszeitung, dass es in Soest einen Gesprächskreis für Angehörige von Alzheimer-Erkrankten gibt, der sich einmal im Monat trifft. Ich erhoffte mir weitere Informationen über das Krankheitsbild und ging zu einem dieser Treffen. Nach dem ersten Gesprächsabend ging ich mit sehr gemischten Gefühlen nach Hause. Die Berichte von Angehörigen, bei denen die Krankheit schon weiter fortgeschritten war, machten mir regelrecht Angst. Ich war unsicher, ob ich überhaupt hören wollte, was uns in Zukunft erwarten würde.

Zurückblickend bin ich froh, den Weg in diese Gruppe gefunden zu haben. Hier habe ich in den letzten 10 Jahren sehr viel Verständnis und Anteilnahme erfahren. Über Gefühle wie Angst, Hoffnungslosigkeit, Trauer, Ärger, Wut oder auch Schuld wurde hier frei gesprochen. Auch bekam ich hier immer wieder praktische Anregungen und Tipps, die mir wieder Mut machten und einen neuen Weg aufzeigten, mit der Krankheit umzugehen. Die Gruppe war wie eine Familie, in der man Empfindungen zulassen konnte, in der man sich nicht zu schämen brauchte, wenn man sich als schwach und hilflos erfuhr und sich entsprechend verhielt.

Die ersten sechs Jahre waren rückblickend für alle auch die schwersten Jahre. Zu erkennen, dass sich Schwiegervater immer mehr veränderte und immer mehr auf unsere Hilfe angewiesen war, machte uns alle sehr traurig. Ein sehr einschneidendes Erlebnis für ihn war der Entzug seines Führerscheines. Er fühlte sich verraten und von allen verlassen, auch von uns. Dieses äußerte sich immer öfter in Form von Aggressionen, Wut aber auch tiefer Hilflosigkeit und Angst. Wir konnten ihm schwer verständlich machen, dass wir immer für ihn da waren. Die Situation zu Hause wurde zeitweise unerträglich. Er verweigerte teilweise das Essen, die Körperhygiene wurde arg vernachlässigt. Hilfe unsererseits wurde abgelehnt. Wir waren ratlos, wie es weitergehen sollte. In unserer Hilflosigkeit wandten wir uns an den sozial­psychologischen Dienst des Gesundheitsamtes. Mehrere stationäre Einweisungen in die Westfälische Klinik für Psychiatrie in Eickelborn wurden unumgänglich. Hier wurde versucht, mit Hilfe von Psychopharmaka eine Besserung der Situation zu erreichen. Am Anfang hatten wir große Schuldgefühle, Schwiegervater in eine psychiatrische Klinik einweisen zu lassen. Ein Gefühl von Versagen stellte sich bei uns ein. Es war immer wieder schmerzlich, ihn dort zurückzulassen. In seinem Gesicht stand jedes Mal wieder die Angst, von uns abgeschoben worden zu sein. Wir konnten ihm nicht erklären, dass dies nicht so war, dass wir ihn jeden Tag besuchen kommen würden. Wir haben in dieser Zeit dort auf der Station sehr viel Verständnis und auch Anerkennung für unsere schwere Aufgabe erfahren. Anfängliche Vorurteile gegen diese Klinik, von denen auch wir uns nicht freimachen konnten, haben wir schnell ablegen können.

Wichtig für uns war zu erkennen, dass wir lernen mussten, uns auf die Krankheit einzustellen. Wir mussten versuchen, die Krankheit zu akzeptieren, Schwiegervater so anzunehmen, wie er war. Er war nicht mehr in der Lage, sich zu ändern. Es lag an uns, ihm das Leiden zu erleichtern und damit auch seine Lebensqualität zu verbessern.

Da mein Mann als Kraftfahrer tätig und dadurch in der Woche sehr unregelmäßig zu Hause war, war schnell klar, dass die Hauptlast der Betreuung von mir zu leisten sei. Sehr schnell merkte ich, dass dies ein 24-Stunden-Job werden würde, 7 Tage die Woche. Zuerst stand mehr die Betreuung im Vordergrund. Mit dem Fortschreiten der Erkrankung durch Harn- und Stuhlinkontinenz wurden aber auch immer mehr pflegerische Maßnahmen notwenig. Ich war sehr schnell am Ende meiner Kraft.

Dies zeigte sich oft in Ungeduld mit dem Kranken, Konflikte mit den Kindern, dem Gefühl, von niemandem verstanden zu werden, aber auch in körperlichen Beschwerden. Hinzu kam gleichzeitig das schlechte Gewissen, nicht immer richtig reagiert zu haben. So konnte es auf keinen Fall weitergehen. Ich musste mir eingestehen, Hilfe von Außen anzunehmen. Der Versuch, Schwiegervater vormittags während meiner Berufstätigkeit in die Tagespflege zu geben, scheiterte, er war hiermit vollkommen überfordert. Also musste eine andere Lösung gefunden werden, da für uns ein Umzug in ein Altenheim weiterhin nicht in Frage kam. Jedoch machte ich meinem Mann gegenüber immer öfter die Einschränkung „Solange ich es noch kann“.

Es wurde versucht, einen gut durchstrukturierten Tagesablauf zu organisieren, feste Regeln für den Tagesablauf aufzustellen. Dieses sollte ihm ein Gefühl von Sicherheit geben. Die Wohnung wurde auf Gefahrenquellen überprüft. Zur besseren Orientierung wurden z.B. Lichtschalter mit Leuchtdioden angebracht, damit er diese auch im Dunkeln finden konnte. An den Fenstern wurden Schlösser angebracht, weil das Fenster mit der Tür verwechselt wurde, heißes Wasser stellten wir ab, weil das Wärmeempfinden eingeschränkt war.

Vormittags bestellten wir zur Unterstützung der Pflege einen ambulanten Pflegedienst, der möglichst immer zur gleichen Uhrzeit kam. Außerdem wurde ein Zivildienstleistender für 2 Stunden angefordert, der ihm mundgerecht bereitetes Frühstück reichte und kleine Spaziergänge mit ihm machte. Ab Mittag übernahm ich dann wieder die weitere Betreuung.

Der Zeitaufwand der Betreuung wurde immer größer, alleine das Mittagessen beanspruchte schon 1 – 1½ Stunden. Daneben weiter den Haushalt zu führen und auch noch den Kindern gerecht zu werden, wurde immer schwieriger. Die Kinder mussten immer öfter die Aufgabe der Aufsicht von ihrem Opa mit übernehmen. Sie mussten erst mal lernen damit umzugehen, dass sich das Rollenbild änderte. Plötzlich waren sie für den Opa verantwortlich, mussten mit ihm Toilettengänge durchführen, mussten ihm auch mal Grenzen aufzeigen oder konnten ihm Wünsche nicht erfüllen, z.B. hatte er ständig das Bedürfnis, etwas zu essen. Das Hunger- und Sättigungsgefühl war verloren gegangen.

Um weitere Entlastung zu bekommen, wurde auch für nachmittags für 1½ Stunden ein Zivildienstleistender angefordert, der Kaffee und Kuchen reichte und nochmals einen kleinen Spaziergang mit ihm unternahm. Diese Zeit konnte ich nutzen, um kleine Besorgungen zu machen, oder wichtige Termine wahrzunehmen, ohne immer die Kinder einbinden zu müssen. Trotz allem blieb noch sehr viel Arbeit für mich übrig.

Es war sehr schwierig und musste vorher gut organisiert werden, sich zwischendurch freie Zeit der Betreuung und Pflege zu schaffen. Besonders an den Wochenenden war dies ein Problem. Spontane Unternehmungen mit der Familie waren einfach nicht mehr möglich.

Trotz allem war es uns sehr wichtig, dass es Schwiegervater gut ging. Fühlte er sich gut und machte einen zufriedenen Eindruck, konnten auch wir die Last viel besser tragen.

Ein weiterer schwerer Einschnitt war, als wir bemerkten, dass er uns nicht mehr erkannte. Er musste wieder einmal für eine kurze Zeit in die Psychiatrie nach Eickelborn, da seine starke Unruhe zu Hause nicht in den Griff zu bekommen war. Als ich ihn dort besuchte, erkannte er mich gar nicht und sprach zu mir wie zu einer Fremden. Er erzählte mir von zu Hause, wie schön es dort sei, dass dort alles viel besser sei und die Frau von „oben“ würde sich schon um alles kümmern. Einerseits machte mich diese Erkenntnis unheimlich traurig, doch machte es mir auch Mut von ihm zu hören, dass er sich zu Hause gut fühlte. Er erzählte von seinem Sohn, der LKW führe und erkannte nicht, dass dieser vor ihm stand. Dieses mussten wir gefühlsmäßig erst einmal wieder verarbeiten. Auch verstummte seine Sprache immer mehr, bis er von einem Tag auf den anderen gar nicht mehr redete. Nun mussten wir einen anderen Weg der Verständigung über die Gefühlsebene finden. Wenn man ihn in den Arm nahm und ruhig mit ihm sprach, zeigte er sehr häufig Reaktionen wie „Weinen“. Dieses Weinen war aber nicht immer tiefe Traurigkeit. Es war die einzige Art seinerseits, sich zu äußern. Auch dieses musste erst erkannt werden.

Sehr schwer war dann die 3-jährige Zeit, in der er ständig jammerte und stöhnte. Wir konnten dies nicht deuten. Der Hausarzt wurde immer wieder konsultiert. Auch wurde von uns darauf hingewiesen, dass er in der Vergangenheit oft über Magenprobleme geklagt hatte. Es erfolgten weitere stationäre Behandlungen in Eickelborn. Uns wurde immer wieder gesagt, dieses sei auf die „Alzheimer-Krankheit zurückzuführen. Es handle sich um Fehlsteuerungen des Gehirns, die ungewollt ablaufen wurden. Das permanente Stöhnen und Jammern rund um die Uhr brachte mich stark an meine Grenzen. Ich hatte oft das Gefühl, von ihm im ganzen Haus verfolgt zu werden. Meine Familienmitglieder empfanden dies als nicht so schlimm. Es kamen dann die Bemerkungen wie „Hör doch einfach weg“, „Opa kann schließlich nichts dafür“. Erst wenn sie sich dann auch beim Fernsehen gestört fühlten, reagierten auch sie schon mal gereizt. In dieser Zeit hatte ich das Gefühl, von niemanden verstanden zu werden, ich fühlte mich total allein gelassen. Die Notbremse zog dann mein Mann, der bemerkte, dass ich am Ende war. Es wurde auf Anraten des Hausarztes noch einmal ein Neurologe eingeschaltet. Dieser empfahl uns dann, ihn in das Krankenhaus Neheim, Klinik für Geriatrie, einzuweisen. Nach gründlichem Check-Up wurde dort festgestellt, dass er an einer akuten Magenschleimhautentzündung mit einer Entzündung der Speiseröhre litt. Es erfolgte dort die Behandlung und das Stöhnen hörte auf. Auch machte er einen viel entspannteren Eindruck. Von da ab brauchten wir keine Psychopharmaka mehr einsetzen.

Nachdem er aus der stationären Behandlung entlassen wurde, wurde die häusliche Situation viel entspannter. Wir konnten wieder durchatmen.

Vor 3 Jahren stürzte er dann bei einem Toilettengang, den mein Sohn mit ihm machte, und zog sich eine offene Schädelfraktur zu. Hier habe ich oft zu Gott gebetet, dass er es schaffen würde. Ich glaube, mein Sohn wäre mit den Schuldgefühlen nicht fertig geworden. Nach diesem Sturz wurde er komplett bettlägerig. Wir haben ihn nun mehrmals am Tag für eine kurze Zeit mit einem elektrischen Hebelifter in einen Therapiestuhl gesetzt. Das Schlafzimmer wurde umgestaltet, so dass die Pflege gut durchzuführen war. An den Wänden wurden Bilder aufgehängt. Das Pflegebett wurde so gestellt, dass er aus dem Fenster schauen konnte. Sein Blick richtete sich auf den Kleiderschrank, also haben wir auch hier Poster aufgehängt, diese natürlich zwischenzeitlich immer mal wieder ausgewechselt. Über das Bett hängte ich jahreszeitgemäß selbstgebastelte Mobiles. Ebenso dekorierte ich die Fensterscheiben mit jahreszeitlichen Motiven aus Window colors. Wichtig dabei war mir, dass die Motive keinen kindlichen Charakter hatten. Unter die Decke klebte ich Leuchtsterne.

Mit der Bettlägerigkeit wurde für mich die Belastung einfacher. Vor der Pflege hatte ich keine Angst. Entsprechende Grundkenntnisse hatte ich vorher in einem Pflegekursus erworben. Er musste nun mehrmals täglich gewindelt werden. Wichtig waren auch die ständigen Lagerungen. Morgens die große Grundpflege wurde weiterhin von einem ambulanten Pflegedienst geleistet, später forderte ich auch noch einen Einsatz in den Abendstunden an. Weiterhin wurde das Anlegen einer Magensonde erforderlich, da er sich beim Essen ständig verschluckte und sich hierdurch Lungenentzündungen entwickelten. Durch das Wegfallen des Fütterns ging immer mehr Zuwendung verloren, so war es besonders wichtig, ihm immer wieder das Gefühl von Geborgenheit und Wärme zu geben. Wir haben ihn oft in den Arm genommen, mit ihm geredet, ihm etwas vorgesungen, oder aber auch mit ihm geweint. Es entstand eine ganz besonders enge Bindung. Meinem Mann und den Kindern machten aber der weitere körperliche Verfall sehr zu schaffen. Als dann auch noch ein Blasenkatheter erforderlich wurde, hatte mein Mann immer mehr Berührungsängste. Auch die Kinder zogen sich vermehrt zurück.

Sehr schwierig waren auch immer wieder Entscheidungen, die für ihn getroffen werden mussten. War es richtig, dem Legen einer Magensonde zuzustimmen? Man nahm ihm doch hiermit wieder ein Stück Lebensqualität. Es wurden weitere stationäre Aufenthalte notwendig, da sich immer wieder Lungenentzündungen entwickelten. In der Klinik in Neheim haben wir uns sehr gut aufgehoben gefühlt. Hier durften wir einen sehr liebevolle Umgang mit den Patienten durch das Pflegepersonal und die Ärzte erfahren. Als Angehörige wurden wir stets mit eingebunden. Es entstand ein sehr enges Vertrauensverhältnis.

Weihnachten 2000 setzte beim Schwiegervater das erste Mal eine Magenblutung ein, die aber zum Stillstand gebracht wurde. Von da ab ging es ihm zunehmend schlechter. Die Stations-Ärztin in Neheim versuchte uns darauf vorzubereiten, dass er bald seinen Weg gehen würde. Sie bemerkte aber auch, wie schwer es besonders meinem Mann fiel, ihn gehen zu lassen und legte ihm ans Herz, sich an die Hospiz zu wenden, um Hilfe zu bekommen. Dieses ist dann auch geschehen. Durch viele Gespräche haben wir uns mit der Situation auseinander gesetzt. Doch standen wir immer noch vor der Entscheidung, wie würden wir reagieren, wenn wieder eine Akut-Situation eintreffen würde? Würden wir es schaffen, in zu Hause zu behalten, ihn nicht wieder in stationäre Behandlung zu geben?

Unser größter Wunsch war, dass er zu Hause einschlafen würde. Würden wir auch diese Kraft noch aufbringen? In dieser Zeit haben uns sehr der Zuspruch der Ärztin aber auch die Gespräche mit der Hospiz weitergeholfen. Als dann im Juni wieder eine akute Magenblutung einsetzte, konnten wir die Entscheidung tragen, keine Intensivmedizin mehr zuzulassen. Wichtig war uns, dass er keine Schmerzen erleiden sollte. Durch Zusammenarbeit mit dem Hausarzt, der uns in diesen letzten zwei Wochen ständig zur Seite gestanden hat, der sofort da war, wenn wir ihn riefen, hatten wir die Möglichkeit, auch noch den letzten Rest des Weges mit ihm zu Hause zu gehen. Diese zwei Wochen waren noch einmal eine ganz intensive Zeit und eine ganz besondere Nähe zu ihm. Rund um die Uhr waren wir abwechselnd bei ihm. Am Morgen des 27. Juni verstarb er dann im Alter von 70 Jahren im Beisein aller ihn liebenden Familienangehörigen.

Jetzt konnten wir ihn loslassen. Wir hatten erkannt, dass Loslassen nicht heißt, das Gewesene zu vergessen, sondern in der Distanz einen neuen Blick für das Leben zu gewinnen. Rückblickend sind wir froh und stolz, dass wir diesen langen Weg gemeinsam mit ihm gehen durften.
Trotz Verzicht auf vielerlei Dinge waren die Jahre eine Bereicherung für unser Leben.
Wir haben nicht nur gegeben, sondern auch von ihm eine ganze Menge bekommen. Er hinterlässt kostbare Spuren in unserem Leben.

Ich möchte mit dieser Aufzeichnung anderen Angehörigen Mut machen, die vielleicht noch am Anfang dieses Weges stehen. Ich möchte Ihnen Mut machen, alle Hilfen wie Angehörigengruppen, Pflegedienste, Hospize usw. in Anspruch zu nehmen. Ohne diese vielen lieben Menschen im Hintergrund, denen auch mein ganz besonderer Dank gilt, hätte ich es bestimmt nicht geschafft, durchzuhalten. Oft hat mir aber auch der Spruch „und wenn du denkst, es geht nicht mehr, kommt bestimmt von irgendwo ein Lichtlein her“, geholfen. Es war wirklich so, es sind einem immer wieder Kräfte zugewachsen, die man nicht für möglich gehalten hätte, die man nicht erklären kann.